Im 19. und 20. Jahrhundert verdiente sich Deutschland das Prädikat, die »Apotheke der Welt« zu sein. Unternehmen wie Merck, Schering, Bayer oder Hoechst professionalisierten die Arzneimittelproduktion und brachten ab Ende des 19. Jahrhunderts wichtige Innovationen aus Deutschland auf den Weltmarkt, zum Beispiel Aspirin.
Doch inzwischen hat dieses Bild der „Apotheke der Welt“ gelitten. Natürlich haben einige wichtige Pharmakonzerne, wie etwa Bayer oder Merck, ihren Hauptsitz weiter in Deutschland und arbeiten hierzulande weiter an wichtigen Innovationen. Andererseits hat sich fast die komplette Arzneimittelproduktion ins Ausland verlagert, weil dort mit Blick auf die extremen Niedrigpreise in den Generika-Rabattverträgen günstiger hergestellt werden kann. Das BASF-Werk in Ludwigshafen, wo in Massen Ibuprofen produziert wird, ist somit eines der wenigen Beispiele einer Arzneimittelherstellung in Deutschland mit internationaler Marktrelevanz, heißt es bei der Pharmazeutischen Zeitung.
Einstige „Apotheke der Welt“ verliert immer mehr an Boden
Und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnt in der „Strategie für die industrielle Gesundheitswirtschaft“ davor, dass mit der industriellen Gesundheitswirtschaft, neben der Autoindustrie und dem Energiesektor, einer weiteren Branche in Deutschland der internationale Abstieg drohe. Die Branche umfasst die Produktion von Arzneimitteln, Biotech, medizinischen Geräten und Digital Health. „Bereits seit einigen Jahren zeigt sich ein gefährlicher Trend: Die einstige ‚Apotheke der Welt‘ verliert immer mehr an Boden gegenüber anderen Ländern, insbesondere im Vergleich mit den USA und Asien“, heißt es in dem Papier.
Vor allem seit Ausbruch der globalen Corona-Pandemie und damit der riesigen Gesundheits- und Wirtschaftskrise steht die industrielle Gesundheitswirtschaft (iGW) im Fokus. Sie ist für den Standort Deutschland seit vielen Jahren eine Schlüsselindustrie, betont der BDI. „Made in Germany“ für Diagnostika, Medizinprodukte, Arzneimittel, Biotechnologie
und Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) gelten laut des Verbandes weltweit als Gütesiegel. Deutschlands iGW ist international wettbewerbsfähig und leistet seit Jahren einen positiven Beitrag zur deutschen Handelsbilanz.
Gesundheitswirtschaft die Basis für den Exporterfolg
Die wirtschaftliche Bedeutung der Branche ist gigantisch. „Angesichts ihrer enormen Bruttowertschöpfungs- und Erwerbstätigenzahlen ist die Gesundheitswirtschaft einer der größten deutschen Wirtschaftszweige. Rund 12.500 Medizintechnikunternehmen und 360 Pharma- und Biotechnologieunternehmen beschäftigen rund eine Million Erwerbstätige und bieten somit fast so viele Arbeitsplätze wie die Automobilindustrie“, schreibt der BDI weiter. Die Bruttowertschöpfung, also der Gesamtwert der erzeugten Waren und Dienstleistungen, betrug 2019 mehr als 80 Milliarden Euro, war allerdings zuletzt rückläufig.
So wird der der Bundesverband der Deutschen Industrie mit Blick auf die Zukunft sehr deutlich: „Das deutsche Gesundheitssystem ist als Heimatmarkt der industriellen Gesundheitswirtschaft die Basis für den Exporterfolg. Es müssen jetzt Rahmenbedingungen geschaffen werden, die die Innovationskraft der Branche stärken. Dazu gehören attraktive Produktionsbedingungen, ein guter Rahmen für Forschung und Entwicklung, Innovationsoffenheit und eine beherzte Umsetzung der digitalen Transformation der Gesundheitsversorgung.“ Auch eine „Wertschätzung für die Wertschöpfung“ sei gefragt: Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund des harten internationalen Wettbewerbs auf den Weltmärkten und unter Berücksichtigung der Besonderheiten eines vereinten Europas. Diese Wertschätzung müsse öffentlich, entschlossen und offensichtlich sein, damit die industrielle Gesundheitswirtschaft ihre volle Innovationskraft auch weiterhin am Standort Deutschland und Europa entfalten könne.
Digitalisierung in den Fokus
Laut „Handelsblatt Digital Health“ fordert der Industrieverband mehr Tempo bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Im internationalen Vergleich rangiert Deutschland laut einer Bertelsmann-Studie auf Rang 16 von 17 untersuchten Ländern. Dabei biete ein digitales Gesundheitswesen die Chance für eine bessere und schnellere Versorgung. Bereits in Schulen müsse die Kompetenz für Gesundheit mit Hilfe digitaler Tools gestärkt und gefördert werden. Außerdem müsse der Zugang zu Gesundheitsdaten für die Industrie verbessert werden. Dies sei ein entscheidender Standortfaktor. Und für Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGa) müsse darüber hinaus eine Möglichkeit des Innovationsschutzes auf europäischer Ebene vorangetrieben werden.
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